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Wider den Rechtsschutz-Regress-Reflex

ein Beitrag zum Diskurs der Anwaltshaftung bei rechtsschutzversicherten Mandanten in rechtlich komplexen Fällen von Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Michael R. Moser (Karlsruhe)

Das Landgericht Karlsruhe hatte sich in zwei Verfahren (Az. 3 O 13/19 und 5 O 256/19) mit dem Vorwurf des Rechtsschutzversicherers gegen den seinerzeit vom Versicherungsnehmer mandatierten Rechtsanwalt zu beschäftigen, der Rechtsanwalt habe „einen von vornherein aussichtslosen Rechtsstreit geführt“ und sei deshalb zur Schadenersatzleistung in Höhe der von der Rechtsschutzversicherung verauslagten gegnerischen Anwaltskosten sowie Gerichtskosten (immerhin über drei Instanzen) zu verurteilen. Der beklagte Rechtsanwalt hatte den Versicherungsnehmer in den Jahren 2014 und 2015 vor dem Landgericht Köln und dem Oberlandesgericht Köln vertreten. Die Verfahren gingen verloren. Für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BGH stellte der Kollege nur noch die Deckungsanfrage und gab das weitere Verfahren in die Hände eines Kollegen beim Bundesgerichtshof. Im Vorprozess ging es um einen komplexen Fall der Haftung einer Haftpflichtversicherung für die Tätigkeit der „Treukommerz“, einer Treuhand- und Steuerberatungsgesellschaft. Diese war als Treuhänderin ein eine Publikumskommanditgesellschaft eingegliedert.

Haftet die Gothaer-Versicherung für die Treukommerz?

Diese Treuhandgesellschaft war nach zunächst uneinheitlicher Rechtsprechung des Landgerichts Berlin aus Prospekthaftung im weiten Sinne zu Schadenersatz verurteilt worden (letztinstanzlich bestätigt durch das von ebendem jetzt beklagten Rechtsanwalt erstrittenes Urteil des BGH vom 09.07.2013, II ZR 9/12, BeckRS 2013, 14006). In den Verfahren vor dem Kammergericht Berlin war diese Treuhänderin allerdings in Insolvenz gefallen, da ihr die Haftpflichtversicherung die Deckung entzog.

Einige Fachanwälte, darunter auch der hiesige Beklagte, hatten versucht, vor den Kölner Gerichten, die Haftpflichtversicherung der Treuhänderin direkt in Anspruch zu nehmen. Dieser Anspruch war vom Insolvenzverwalter zugunsten der Anleger (Treugeber) freigegeben worden. Letztlich ging es um die kontroverse Frage, ob eine Treuhänderin in einer Publikumskommanditgesellschaft „gesch.ftsführende Treuhänderin“ war, was einem Versicherungsschutz entgegensteht. Das hatte das OLG Köln (vgl. BeckRS 2014, 17051) mit wenig überzeugender Parallelwertung zu anders gelagerten Fällen von LG und OLG München sowie OLG Hamm (vgl. LG München, Urt.v. 01.06.1995, 23 O 18026/94; OLG München VersR 1989, 1293; Urt. v. 30.01.1987, 21 U 3798/86 und OLG Hamm, NJW-RR 1993, 1308) in denen es um weitreichende Bauträgervollmachten ging, angenommen. Mit den von der dritten und der fünften Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe entschiedenen Klagen des Versicherers gegen den mandatierten Rechtsanwalt setzt die klagende Versicherung das „Geschäftsmodell“ der Rechtsschutzversicherer (vgl. Weinbeer, AnwBl. 2020, 26) fort, Anwälte bei verlorenen Klageverfahren nachträglich mit dem Vorwurf zu konfrontieren, der Anwalt habe einen „von vornherein aussichtslosen Prozess“ geführt.

Rechtsschutzversicherung erteilte zunächst Deckungsschutz…

Die Besonderheit der hier entschiedenen Fällen ist, dass der Versicherer, unter Schilderung des Sachverhalts und für das Berufungsverfahren auch unter Mitteilung abweichender Rechtsprechung des zuständigen Spruchkörpers des Gerichts im Vorprozess wegen einer Deckungszusage für das Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht wie auch später für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof, von dem beklagten Rechtsanwalt angefragt wurde und der Versicherer (nunmehrige Klägerin) nach eigener Prüfung jeweils Deckungszusagen erteilt hatte.

Die Klagen gegen den hier auf Schadenersatz verklagten Rechtsanwalt reichte der Versicherer beim Landgericht in Karlsruhe ein.Das Landgericht hat in seinem Urteil vom 24.07.2020 (3 O 13/19) mit dankenswerter Klarheit dem beklagten Kollegen attestiert, keine Beratungs- und Aufklärungspflichten verletzt zu haben. Für den Kollegen sprach entscheidend, dass er sowohl den Mandanten als auch den klagenden Rechtsschutzversicherer in den Deckungsanfragen auf entgegenstehende Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts Köln hingewiesen und sich mit dieser rechtlich auseinandergesetzt hatte. Der Rechtsschutzversicherer hatte also in Kenntnis der entgegenstehenden Rechtsprechung Deckungsschutz über alle drei Instanzen erteilt. Auch soweit der klagende Rechtsschutzversicherer dem beklagten Rechtsanwalt eine „Parallelentscheidung“ des BGH (vom 24.06.2015, IV ZR 248/14, NJW-RR 2015, 1340) entgegenhielt und meinte, schon „deswegen“ habe der Rechtsanwalt von der Fortsetzung des Prozesses gegen die Haftpflichtversicherung der Treuhänderin „abraten müssen“, stand das Landgericht auf der Seite des beklagten Rechtsanwalts: die klagende Rechtsschutzversicherung hatte nicht vortragen können, dass die im Verfahren IV ZR 248/14 erhobenen Rügen dieselben gewesen seien als die Argumentationslinie, die der beklagte Rechtsanwalt zusammen mit dem Kollegen beim Bundesgerichtshof ausgearbeitet hatte.

… und verlangt dann vom Rechtsanwalt Schadensersatz

Nicht problematisieren musste das Landgericht Karlsruhe die Frage, ob der Beklagte Rechtsanwalt „in der Instanz“ auch noch für die Anwalts- und Gerichtskosten des Verfahrens vor dem Bundesgerichtshof in Regress genommen werden kann. Hier erscheint es doch recht fraglich, ob eine Deckungsanfrage alleine schon ausreicht, einen kausalen Schaden beim Mandanten zu verursachen, bestehend aus Rechtsanwalts- und Gerichtskosten der Revisionsinstanz, den der Rechtsschutzversicherer dann regressieren könnte.

Leider hatte die 3. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe keine Notwendigkeit mehr, sich mit der Bindungswirkung der erteilten Deckungszusage zu beschäftigen, die in dem Prozess zwischen den Parteivertretern ebenfalls diskutiert wurde (vgl. AG Köln Urt. v. 04.06.2018, 142 C 59/18 – rkr-, BeckRS 2018, 22869 und OLG Jena, Urt.v. 31.01.2020, 9 U 845/18, BeckRS 2020, 9286).

„systematisches Vorgehen“ der Rechtsschutzversicherer?

Gegen das „systematische Vorgehen“ einiger Rechtsschutzversicherer, den Anwalt beim verlorenen Prozess in Regress zu nehmen (vgl. Martin, AnwBl. 2020, 420) konnte sich der beklagte Rechtsanwalt hier durch eine tadellose Dokumentation und schriftliche Aufklärung sowohl des rechtsschutzversicherten Mandanten wie auch der Rechtsschutzversicherung selbst erfolgreich zur Wehr setzen. Diesem Regress-Reflex der Rechtsschutzversicherer sollte auch die bisher eher versicherungsfreundliche Rechtsprechung (so Martin a.a.O) entgegenwirken. Die Argumentation des OLG Jena (a.a.O.), wonach sich der Rechtsschutzversicherer durch seine Deckungszusage nicht nur gegenüber dem versicherten Mandanten, sondern eben auch gegenüber dem Rechtsanwalt bindet und ein schutzwürdiges Vertrauen aus der Prüfungsobliegenheit des Versicherers nach § 128 VVG auch für den mandatierten Rechtsanwalt entsteht, verdient eine kraftvolle Betonung, denn der Versicherungsnehmer erkauft sich mit der Rechtsschutzversicherung sein Recht, auch Prozesse mit geringer Aussicht auf Erfolg führen zu können. Wie anders, als durch einen „Gang durch die Instanzen“ kann eine Änderung der Rechtsprechung erreicht werden, wie dies in dem Kontext der streitgegenständlichen Vorprozesse hätte geschehen sollen, gegen die Urteile des Landgerichts Köln und die Zurückweisungspraxis des OLG Köln nach § 522 ZPO.

Die Entscheidung der dritten Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe ist rechtskräftig.

Zwei Kammern des Landgerichts geben dem Rechtsanwalt „Recht“

Im Parallelverfahren des Rechtsschutzversicherers vor der fünften Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe, Aktenzeichen 5 O 256/19, erging am 17.12.2020 ein klageabweisendes Urteil. Im Ergebnis kommt das Landgericht – fünfte Zivilkammer – wie auch vorausgehend die dritte Zivilkammer im dortigen Urteil vom 24.07.2020, Aktenzeichen 3 O 13/19 – zu dem Ergebnis, dass der Klägerin in jenen Verfahren ein Schadenersatzanspruch gegen den beklagten Rechtsanwalt nicht zusteht. Während die dritte Zivilkammer die Klage bereits am Beratungsverschulden des Beklagten „scheitern lässt“, kommt die fünfte Zivilkammer zu dem Ergebnis, dass die vom Beklagten seinerzeit für die Versicherungsnehmer geführten Prozesse im Kontext der Gothaer Haftpflichtversicherung der Treukommerz gerade nicht von vorneherein aussichtlos waren. Insbesondere betont das Landgericht – fünfte Zivilkammer – dass:

„die vom Beklagten, bezogen auf den konkreten Fall zudem angeführten Argumente, warum sich auch aus den Regelungen im Treuhandvertrag – trotz bestehender Entscheidungs- und Ermessensspielräume des Treuhänders – keine unternehmerische Tätigkeit und auch keine geschäftsführende Treuhand der Treukommerz GmbH ableiten ließ, von ausreichendem rechtlichen Gewicht (sind) und nicht von Vorneherein als abwegig außer Betracht bleiben (müssten)“

(Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 17.12.2020, Aktenzeichen 5 O 256/19, Seite 14 d.UA. – Mitte -, BeckRS 2020, 38730).

Entgegen der Auffassung der fünften Zivilkammer und mit den Ausführungen der dritten Zivilkammer ist jedoch davon auszugehen, dass dem Beklagten schon kein Beratungsverschulden gegenüber den Versicherungsnehmern der Klägerin anzulasten ist. Hierfür streitet für den beklagten Instanzanwalt insbesondere auch die Entscheidung des Landgerichts Berlin, Urteil vom 08.07.2019, Aktenzeichen 16 O 22/19, BeckRS 2019, 43253 – beck-online. Nach den zustimmungswürdigen Ausführungen des Landgerichts Berlin in einem vergleichbaren Regress-Sachverhalt des Rechtsschutzversicherers gegenüber dem zur Prozessführung beauftragten Rechtsanwalt ergibt sich, neben dem Umstand, dass streitgegenständlich sowohl der Klägerin wie auch den jeweiligen Versicherungsnehmern die entgegenstehenden Entscheidungen von Landgericht und Oberlandesgericht Köln in den Vorprozessen bereits mitgeteilt worden waren und in den entsprechenden Schriftsätzen, Schriftsatzentwürfen und Schreiben an die Mandanten und die Klägerin von dem Beklagten vertieft erörtert worden sind, dass darüber hinaus kein vertieftes Informations- und Aufklärungsbedürfnis seitens der jeweiligen Mandanten vorzufinden ist.

Welche Reichweite hat der erteilte Deckungsschutz?

Der Anwalt ist in den Grenzen des ihm erteilten Auftrages grundsätzlich zur umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet (vgl. LG Berlin a.a.O., Tz 15). In diesem Zusammenhang ist auch über mögliche Risiken der beabsichtigten Vorgehensweise aufzuklären. Dies bedingt ohne weiteres, dass der Anwalt grundsätzlich im Rahmen seiner Beratung nicht nur mögliche Klageziele benennen muss, sondern auch den Mandanten auf die Risiken bei der Durchsetzung hinweisen muss (LG Berlin a.a.O. Tz 16).

Dies ändert sich jedoch in dem Moment, in dem klar ist, dass die Rechtsschutzversicherung die Kosten trägt. Bei der Risikoabwägung ist dann nämlich nicht mehr zu berücksichtigen, dass nicht nur das Risiko besteht, dass der Prozess verloren geht, sondern auch die entsprechenden Kosten zu tragen sind. Im Gegenteil ist diese Diskussion überflüssig, da der Mandant die Sicherheit hat, dass er mit den Kosten nicht mehr belastet wird (so zutreffend Grams in Anmerkung zu LG Dortmund FD-VersR 2017 388642). Er hat generell kein Interesse mehr, die Klage aus diesem Grund nicht in Angriff zu nehmen. Im Gegenteil, er hat ja gerade die Versicherung abgeschlossen, um auch risikobehaftete Prozesse zu führen (vgl. Kammergericht NJW 2014, 397). Insoweit kommt eine Aufklärung gar nicht mehr in Betracht, es sei denn der Mandant hat aus besonderen Gründen Interesse an den Erfolgsaussichten und den dadurch entstehenden Kosten. Dafür ist nichts ersichtlich (Landgericht Berlin, a.a.O. Tz 17).

Riskoabwälzung auf den Anwalt?

Mit dem Landgericht Berlin ist ebenfalls zu betonen, dass eine gegenteilige Auffassung dazu führen würde, dass die Rechtsschutzversicherung ihr Risiko einer Falschbeurteilung aus § 125 VVG – im Zusammenhang mit der von ihr erteilten Deckungszusage – auf einen Rechtsanwalt abwälzt, den sie nicht beauftragt hat. Sie könnte sogar fahrlässig oder vorsätzlich Deckungsschutz gewähren, obgleich sie die vermeintliche Aussichtslosigkeit kennt, ihrem Versicherungsnehmer gegenüber als großzügige Versicherung auftreten und im Zweifelsfalle sich das Geld vom Anwalt zurückholen, wenn dieser nicht zutreffend aufgeklärt haben sollte.

Es kann auch sein, dass eine völlig aussichtslose Klage eher nicht im Interesse des Mandanten sein mag, so auch das Landgericht Berlin. Aber auch insoweit besteht kein Aufklärungsbedürfnis. Denn, wenn dies so eindeutig sein sollte, dann kann auch die Rechtsschutzversicherung dies eindeutig erkennen und den Deckungsschutz verweigern (soLandgericht Berlin a.a.O. Tz 25).

Gegen das Urteil der fünften Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe ist von der unterlegenen Rechtsschutzversicherung Berufung zum Oberlandesgericht eingelegt worden (OLG Karlsruhe 17 U 22/21).

Derselbe Versicherer hat noch eine dritte Klage eingereicht; diese ist bei der 8. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe anhängig. Über den Ausgang dieser Verfahren werde ich gerne berichten.

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