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BGH erlaubt persönliche Ansprache von Anlegern

In der jüngeren Vergangenheit suchten Anlageberater, die von ihren schlecht beratenen Kunden auf Schadensersatz in Anspruch genommen wurden, ihre Rettung im anwaltlichen Berufsrecht. Vielfach waren diese Kunden, denen Schiffsfonds, Beteiligungen an Immobilienbesitzgesellschaften oder Genussrechtsbeteiligungen vermittelt worden waren, aufgrund von Rundbriefen von Anwaltskanzleien aufgeklärt worden über die Risiken die diesen Beteiligungen innewohnen. Der Anlageberater klärt von sich aus – nachvollziehbarer Weise – darüber nicht auf.

Solche Rundschreiben von Anwaltskanzleien können ärgerlich sein, weil sie unerbetene Werbung darstellen. Sie können aber auch in Form und Inhalt sachlich über die vorgefundene Situation berichten und für den geschädigten Anleger eine nützliche Information darstellen. Letztlich bleibt es jedem Anleger überlassen, ob er derartige Schreiben unbeachtet zum Altpapier befördert oder bei einem – möglicherweise – in Schieflage geratenen Fonds, der ihm als angeblich „sicher“ verkauft wurde, versucht, seinen wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen.

Die Anlageberater tauschen in intensiver Art und Weise Informationen aus. Die geschädigten Anleger schaffen das noch nicht in dieser Intensität. Das hatte zur Folge, dass „urplötzlich“ eine Vielzahl von Anlageberatern unseren Anschreiben an sie ein skurriles Urteil des Amtsgerichts Weilheim (Obb.) vom 09.07.2012 entgegenhielten, das sich  auf den Standpunkt stellte, dass ein Rundbrief an Anleger, die von einer anderen Anwaltskanzlei verschickt worden waren gegen das Verbot der Werbung um ein Mandat im Einzelfall (§ 43b Bundesrechtsanwaltsordnung – BRAO) verstieß und in der Folge der erteilte Anwaltsauftrag – sprich die dem Anwalt erteilte Vollmacht – nichtig sei. 

Das damit zusammenhängende Risiko für die Anleger war immens: wurde ein Anwalt unter dem Eindruck dieser Rechtsprechung von einem geschädigten Anleger beauftragt, unter Umständen unter Zeitdruck, Maßnahmen zur Hemmung der Verjährung eines bestehenden Schadensersatzanspruchs zu ergreifen, hätten diese Maßnahmen (Klage, Mahnbescheid, Güteantrag u.a.) keine Wirkung entfalten können. Der Schaden für den Anleger wäre mit Händen greifbar. Der Vertrauensverlust in den Berufsstand der Rechtsanwälte kommt hinzu.

Bei allzu reißerischen Rundschreiben von Anlegerschutzvereinen oder Anwaltskanzleien sollen Sie stets vorsichtig sein, besonders dann, wenn durch diese Rundschreiben Verunsicherung unter den Anlegern gestreut werden soll. Im Zweifel fragen Sie einen auf das betroffene Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt um seine Meinung.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem richtungweisenden Urteil vom 13.11.2013 – Aktenzeichen I ZR 15/12 – ein anderslautendes Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München vom 12.01.2012 (6 U 813/11) aufgehoben und entschieden, dass ein Rechtsanwalt auch Nichtmandanten persönlich anschreiben darf um seine Dienste anzubieten, selbst wenn er um den konkreten Beratungsbedarf (hier: in dem in Insolvenz geratenen Fonds forderte der Insolvenzverwalter erhaltene „Ausschüttungen“ von den Anlegern zurück) weiß. http://tinyurl.com/pm6obm6

Das Urteil ist aus Sicht des entscheidenden I. Senats des BGH von so großer Bedeutung, dass es nicht nur im Nachschlagewerk des Gerichts aufgenommen wird sondern auch in den amtlichen Sammlungen „BGHR“ und „BGHZ“. Das Gericht hat dem Urteil folgenden Leitsatz vorangestellt:

Ein Rechtsanwalt verstößt nicht zwingend gegen das Verbot der Werbung um Praxis (§ 43b BRAO), wenn er einen potentiellen Mandanten in Kenntnis eines konkreten Beratungsbedarfs (hier: Inanspruchnahme als Kommanditist einer Fondsgesellschaft auf Rückzahlung von Ausschüttungen) persönlich anschreibt und seine Dienste anbietet. Ein Verstoß liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der Adressat einerseits durch das Schreiben weder belästigt, genötigt oder überrumpelt wird und er sich andererseits in einer Lage befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung hilfreich sein kann (Fortführung von BGH, Urteil vom 1. März  2001 – I ZR 300/98, BGHZ 147,71,80 – Anwaltswerbung II; BGH, Urteil vom 15. März 2001 – I ZR 337/98, WRP 2002, 71, 74 – Anwaltsrundschreiben)

 In den Urteilsgründen verweist der BGH auch auf die Richtlinie 2006/123/EG vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt. Anhand von Artikel 24 dieser Richtlinie muss § 43b BRAO richtlinienkonform zumindest seit dem 28. Dezember 2009 ausgelegt werden. Der BGH betont in seinem Urteil, dass ein Werbeverbot zum Schutz eines potentiellen Mandanten vor einer Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit durch Belästigung, Nötigung und Überrumpelung gerechtfertigt sein kann und aus der gesetzlich angeordneten Verhältnismäßigkeitsprüfung auch weiterhin eine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen ist.

„Dabei sind neben der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit, der Würde oder der Integrität der Rechtsanwaltschaft auch Art und Grad der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers durch Form, Inhalt oder das verwendete Mittel der Werbung zu berücksichtigen. Außerdem kommt es darauf an, ob und wieweit die Interessen des Verbrauchers deshalb nicht beeinträchtigt sind, weil er sich in einer Situation befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung Nutzen bringen kann.“  (BGH, a.a.O, Tz. 21)

Nach diesem Urteil ist den Anlageberatern jedenfalls ein Argument abhanden gekommen und die Anleger können aufatmen, wenn sie aufgrund eines Rundschreibens oder Werbebriefes einer Anwaltskanzlei tätig geworden sind.In Zweifelsfällen wenden Sie sich vertrauensvoll an die Rechtsanwaltskammer in Ihrem Bezirk oder den Anwalt Ihres Vertrauens! 

 

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