Überspringen zu Hauptinhalt

144-Millionenklage droht an Formalie zu scheitern

„Der Teufel steckt im Detail“, das weiß nicht nur der Volksmund. In dem Sprichwort steckt in einem Fall, den der Bundesgerichtshof zum wiederholten Mal auf der Richterbank zu liegen bekam, auch ein wahrscheinlich bitterer, weil hoher Forderungsverlust von dänischen Schweinezüchtern (BGH, Urteil vom 12.12.2013, III ZR 102/12).

Dieser Fall, der  in die Jahre 1989 bis 1999 zurückreicht, hat auch schon zweimal den Europäischen Gerichtshof  beschäftigt.  Die Klägerin, ein Branchenverband genossenschaftlich organisierter dänischer Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften hat die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz wegen Verletzung europäischen Gemeinschaftsrechts verklagt. Von Anfang 1993 soll die Bundesrepublik den inländischen Fleischmarkt gegen das aus Dänemark stammende Fleisch von nicht kastrierten männlichen Schweinen faktisch abgeschottet haben. Die Klage spricht von einem „Importverbot“, das Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufe.

Die Richtlinie 89/622/EWG des Rates vom 11. Dezember 1989 zur Regelung veterinärrechtlicher Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt hatte vorgesehen, dass das vorherige System der Grenzkontrollen zu Gunsten einer durch den Versandmitgliedstaat durchzuführenden veterinärrechtlichen Kontrolle abgelöst würde. Die zuständigen Behörden an den Bestimmungsorten sollten nur noch eine nicht diskriminierende veterinärrechtliche Kontrolle im Stichprobenverfahren vornehmen dürfen.

Entgegen dieser Regelungen verfügte das Bundesgesundheitsministerium eine Überprüfung aller Sendungen von Schweinefleisch aus anderen Mitgliedsstaaten unabhängig von deren Genusstauglichkeitskennzeichnung, auf die Einhaltung eines Wertes von 0,5 Mikrogramm pro Gramm Androstenon und zwar unabhängig von der Gewichtsgrenze von 80 Kilogramm, die die Richtlinie vorsah.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einem von der Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren durch Urteil vom 12. November 1998  (C-102/96, Slg. 1998, I-6890) einen Verstoß der Bundesrepublik gegen die genannte Richtlinie festgestellt.

Um überhaupt noch Fleisch nach Deutschland exportieren zu können gingen die dänischen Erzeuger zur Kastration der männlichen Schweine über und machten eine Rechnung über 280 Millionen D-Mark  (143.161.726,73 Euro) Schadensersatz auf.

In einer ersten Revisionsentscheidung hatte der BGH dem EuGH einige Fragen zu den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts im Verhältnis zum deutschen Zivilrecht vorgelegt (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006, III ZR 144/05), nachdem die Frage im Raume stand, ob Ansprüche der dänischen Kläger teilweise verjährt seien. Das Landgericht Bonn hatte in seinem Urteil vom 30. Januar 2004 (1 O 459/00) die Klage insoweit abgewiesen, als Ansprüche vor dem Zeitpunkt entstanden waren, die drei Jahre vor Einreichung des Mahnbescheides lagen.

Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hatte die Klage insgesamt dem Grunde nach für begründet erachtet. Hiergegen wandte sich die Bundesrepublik mit dem ersten Revisionsverfahren. Der EuGH hat die vom BGH gestellten Fragen mit Urteil vom 24. März 2009 (C-445/06, Slg. 2009, I-02168) beantwortet.

Mit Urteil vom 04. Juni 2009 (III ZR 144/05, BGHZ 181, 199) hat der BGH das erste Berufungsurteil aufgehoben. Grund dafür war jedoch nicht die Frage der Verjährung von Ansprüchen, die der BGH auf der Grundlage des damaligen Sach-und Streitstandes verneinte sondern fehlende Feststellungen des Berufungsgerichts zu der nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erforderlichen unmittelbaren Kausalität zwischen den Gemeinschaftsrechtsverstoß und dem geltend gemachten Schaden.

Ein zweites Berufungsurteil erging sodann vom OLG Köln (Urteil vom 15. März 2012 – 7 U 29/04).  Das OLG hatte die Klage jetzt abgewiesen mit der Begründung, es fehle an der Kausalität. Dieses Berufungsurteil hob der BGH nun am 12. Dezember 2013 auf (III ZR 102/12).

Neben umfangreichen Begründungen, weswegen der BGH von einer Kausalität ausgeht, schreibt er dem OLG jedoch ins Stammbuch, dass die Klage aufgrund eines Formfehlers wohl zu scheitern droht:

Während im bisherigen Verfahren die Klägerin vorgetragen hatte, ihr lägen schriftliche Abtretungserklärungen der mit ihr verbundenen Schweinezüchter vor, wurde dieser Vortrag mit einem Schriftsatz vom 16. September 2010 dahingehend korrigiert, dass solche Erklärungen nicht abgegeben worden seien, sie jedoch in so genannter „Prozessstandschaft“ die Forderungen der Züchter, die in ihren genossenschaftlich organisierten Schlachthöfen zusammengeschlossen seien, erheben würde.

Die Frage, ob die Klägerin überhaupt Inhaberin der Forderung sein kann, betrifft die Zulässigkeit der Klage und ist vorrangig zu prüfen, stellt der BGH fest. (BGH, Urt. v. 12.12.2013, III ZR 102/12, Tz. 36).

Die gewillkürte Prozessstandschaft setzt neben einem schutzwürdigen Interesse auch eine wirksame Ermächtigung durch den Forderungsinhaber zur Geltendmachung des Anspruches voraus:

Die Erteilung und der Bestand der Ermächtigung richten sich allerdings nach dem materiellen Recht. Da eine Auslandsberührung vorliegt, bestimmt sich das anzuwendende Recht nach dem internationalen Privatrecht. Gemäß dem im Zeitpunkt der Klageerhebung noch maßgeblichen Art. 33 Abs. 1 EGBGB (jetzt inhaltsgleich mit Art. 14 Abs. 1 der sog. „Rom I“-Verordnung) ist bei einer  Abtretung für die Verpflichtungen zwischen dem bisherigen und dem neuen Gläubiger das Recht maßgebend, dem der Vertrag zwischen Ihnen unterliegt. (…)

Die Einziehungsermächtigung soll sich aus den Statuten der in der Klägerin zusammengeschlossenen Schlachtbetriebe bzw. aus ihrem eigenen Statut ergeben. Dies und die weitere Frage, ob die Klägerin im Fall einer wirksamen Ermächtigung Zahlung an sich selbst verlangen kann, richten sich nach dänischem Recht. Ausländisches Recht ist nach Par. 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln.

(…)  Sollten die Voraussetzungen dafür, dass die Klägerin die Ansprüche der einzelnen Züchter im Wege der Prozessstandschaft verfolgen kann, erfüllt sein, werden die Forderungen allerdings verjährt. Im Fall der gewillkürten Prozessstandschaft tritt die Verjährungshemmung erst in dem Augenblick ein, indem diese prozessual offen gelegt wird oder offensichtlich ist.

Nachdem die Klägerin erst mit ihrem Schriftsatz vom 16. September 2010 ihren bisherigen Vortrag geändert hatte  und statt der bisher behaupteten Abtretungen in Prozessstandschaft klagte, berechnet sich die Verjährung rückwirkend auf diesen Zeitpunkt. Der BGH stellt fest, dass die Verjährungsfrist für den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch nach Art. 229 Par. 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB seit dem 1. Januar 2002 auch der dreijährigen Verjährungsfrist des Par. 195 BGB neue Fassung unterfällt. Die Ansprüche beziehen sich auf einen weit davor liegenden Zeitraum.

Einzige Hoffnung für die dänischen Landwirte sind die Statuten der Klägerin bzw.  der genossenschaftlich organisierten Zusammenschlüsse. Wenn sich aus diesen eine „Abtretung“ der Ansprüche im Rechtssinne ergäbe, besteht noch eine Chance auf Erfolg der Klage. Diese Frage ist nach dänischem Recht entsprechend Art. 14 Abs. 1 Rom I -Verordnung zu prüfen. Auf das OLG Köln kommt also erneut Arbeit zu.

Dieser Fall zeigt, dass bereits kleine Formalien eine gravierende Auswirkung haben können. Das gilt auch – aber nicht nur – im internationalen Handel. Bitte beachten Sie hierzu auch unseren Beitrag „Dänische Schweine: Prozess läuft besser als berichtet„.

An den Anfang scrollen