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Amtsrichter, der blaue Himmel und das Bundesverfassungsgericht

Es gibt Gerichtsverfahren, in denen ist der Amtsrichter erste und letzte Tatsacheninstanz zugleich. Der Gesetzgeber wollte es so und hat in verschiedenen Reformen  des Zivilprozessrechts die Überprüfungsmöglichkeiten erstinstanzlicher Entscheidungen eingeschränkt. Dies gilt besonders für Rechtsstreite, in denen ein Streitwert von 600 Euro nicht überschritten wird.

In diesen Verfahren bis 600 Euro Streitwert ist nicht nur das Amtsgericht, d.h. der Amtsrichter bzw. die Amtsrichterin alleine zuständig, das Gesetz erlaubt es nach Par. 495a Zivilprozessordnung (ZPO) auch, das Verfahren nach „billigem Ermessen“ zu bestimmen. In den allermeisten Fällen gibt es gegen Urteile des Amtsgerichts bei Streitwerten bis 600 Euro auch kein Rechtsmittel mehr. Deswegen sagt man den Richtern, die die Überprüfung ihrer Urteile durch keine Instanz mehr „fürchten“ müssen nach, über Ihnen befinde sich nur noch „der blaue Himmel“.

Es gibt jedoch unbestritten auch rechtliche Fragestellungen mit geringerem Streitwert, die von Bedeutung sind und für solche Fälle sieht Par. 511 Abs. 4 ZPO vor, dass das Amtsgericht die Berufung zulässt, wenn

  • 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und
  • 2.die Partei durch das Urteil mit nicht mehr als 600 Euro beschwert ist.

 

Ein solches Urteil erging am 21. Januar 2013 vor dem Amtsgericht Hannover (Aktenzeichen 509 C 11880/12). Die Klägerin hatte bei einer Bank ein Verbraucherdarlehen aufgenommen. Die Bank hatte ein Bearbeitungsentgelt in Höhe von 3 % der Nettokreditsumme von 10.000 Euro, also 300 Euro erhoben. Die Rechtsgrundlage dafür sah die Bank in Ihrem „Preisaushang“. Nachdem die Berechtigung der Bank, derartige Beträge auf der Grundlage von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu fordern in der Rechtsprechung umstritten ist, forderte die Klägerin diese 300 Euro von ihrer Bank zurück.

Ein von der Klägerin eingeleitetes Schlichtungsverfahren vor dem Ombudsmann der privaten Banken verlief ohne Ergebnis. Der Ombudsmann sah wegen der von ihm festgestellten „grundsätzlichen Bedeutung“ der sich stellenden Rechtsfrage von einer Schlichtung ab. Daraufhin erfolgte die Klageerhebung zum Amtsgericht.

Das Amtsgericht bestimmte das Verfahren nach Par. 495a ZPO im schriftlichen Verfahren und gab an die Klägerin am 21.12.2012 durch formlose Übersendung einen Schriftsatz der Vertreter der Bank „zur eventuellen Stellungnahme binnen 3 Wochen“ heraus. Der Anwalt der Klägerin erhielt dieses Schreiben des Amtsgerichts am 02.01.2013. Am 22.01.2013 ging bei Gericht der Erwiderungsschriftsatz der Klägervertreter vom 21.01.2013 ein.

Doch am 21.01.2013 verkündete das Amtsgericht bereits sein klageabweisendes Urteil. Die Berechtigung der Bank, die 300 Euro an Bearbeitungsentgelt von der Klägerin zu verlangen ergebe sich aus dem Darlehensvertrag und Verträge seien einzuhalten, so das Amtsgericht. Den Schriftsatz der Anwälte der Klägerin hatte es offensichtlich nicht mehr zur Kenntnis genommen. Eine gegen das Urteil gerichtete Gehörsrüge (Par. 321a ZPO) wies das Amtsgericht ebenfalls zurück, obwohl die Anwälte der Klägerin darin auch auf den Schriftsatz vom 21.01.2013 und die Frist zur Stellungnahme hinwiesen, die erst am 23.01.2013 endete.

Die Berufung gegen sein Urteil hatte das Amtsgericht ebenfalls nicht zugelassen.

Für diese Verfahrensweise fand das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe deutliche Worte. In der 12-seitigen Entscheidung, die uns vorliegt, stellt das höchste deutsche Gericht fest, das Amtsgericht habe durch sein Urteil und den Beschluss, mit dem die Gehörsrüge zurückgewiesen wurde die Klägerin in ihren Grundrechten aus Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG „offensichtlich“ verletzt. Insbesondere weist das BVerfG darauf hin, dass das Amtsgericht nicht nur den Schriftsatz der Klägervertreter hätte berücksichtigen müssen – auch hätte es, bei Aufrechterhaltung seiner (fehlerhaften) Rechtsauffassung die Berufung nach Par. 511 Abs. 4 ZPO zulassen müssen.

Das BVerfG hält dem Amtsgericht Hannover vor, dass die vom Amtsgericht entschiedene Rechtsfrage in zwei Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung beim Bundesgerichtshof (BGH) in der Revision anhängig ist (XI ZR 170/13 und  XI ZR 373/13). Auch dieser Umstand, neben der Vielzahl von Zivilrechtsstreitigkeiten die die hier entscheidende Fragestellung betreffen und zudem die noch fehlende höchstrichterliche Entscheidung, wurden vom Amtsgericht unberücksichtigt gelassen.

Die obersten Richter der Bundesrepublik attestieren dem Amtsgericht daher auch, maßgebliche verfahrensrechtliche Vorschriften in unhaltbarer Weise gehandhabt zu haben. Die Richter des BVerfG sprechen von „objektiver Willkür“ und heben das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 21.01.2013 sowie den Beschluss vom 27.02.2013 auf und verweisen den Rechtsstreit an das Amtsgericht zurück.

Jedenfalls über dem Amtsgericht Hannover gibt es mehr als nur den blauen Himmel. Das hat das Bundesverfassungsgericht dem Amtsgericht in seltener Deutlichkeit ins Stammbuch geschrieben. Wie gut, dass es die Richter in der Waldstadt gibt, auch wenn im Schnitt nur weniger als 2% aller Verfassungsbeschwerden positiv beschieden werden. Der Selbstherrlichkeit mancher Amtsrichter ist mit diesem Urteil (1 BvR 859/13) eine eindrucksvolle Grenze aufgezeigt worden.

 

 

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